Interview mit einer Fachpflegerin für palliative Versorgung

 

Wer bist du genau, wo kommst du her und was machst du beruflich?

Mein Name ist Sara Loy, ich komme ursprünglich aus Dresden, lebe aber seit vielen Jahren in und um München. Ich bin Fachkrankenschwester für Palliative Care und arbeite auch auf einer Palliativstation in München.

 

Was genau ist denn palliative Pflege? Und wo grenzt sich diese zur Hospizpflege ab?

Palliative Care ist die spezielle Pflege für Patienten mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung – ohne weitere Therapieoptionen oder bei Ablehnung einer Therapie. Für Menschen am Lebensende. Sie umfasst die Symptomkontrolle der Patienten, die Betreuung der Angehörigen und die Sterbebegleitung. Es gibt in der pflegerischen Arbeit keinen großen Unterschied zu der Pflege im Hospiz. Beide Bereiche arbeiten komplett patientenorientiert. Wobei das vielleicht im Hospiz noch etwas besser möglich ist, da auf einer Palliativstation auf Wunsch noch Diagnostik und kleine Eingriffe durchgeführt werden können und wir uns an solchen Tagen nach diesen Terminen richten müssen. Das fällt im Hospiz weg. Zum Beispiel: Bildgebungen oder Ärztliche Konsile (Chirurgische Maßnahmen wie: PEG Anlage, Pleuradrainagen, Wundkonsile oder nach einem Sturz ein CT).

 

Unterscheidet sich die pflegerische Arbeit in der Palliativpflege sehr vom Aufgabenfeld auf anderen Stationen, bspw. der Chirurgie?

Der große Unterschied zu einer chirurgischen Abteilung besteht darin, dass wir nicht diese klaren und strikten Strukturen haben. Wir können uns ganz auf die Wünsche der Patienten einlassen und damit besser auf ihre Ressourcen achten. Wir betrachten den Menschen vor uns ganzheitlich und nicht nur als Fallnummer, als Operationsfeld. Oft gibt es bei festen Strukturen nur DEN einen Weg und von dem wird nicht abgekommen, auch wenn dies vielleicht zum Nachteil des Patienten ist.

 

Wie ist deine Passion für diesen, ja doch sehr speziellen Bereich der Pflege entstanden?

Mich hatte damals mein Einsatz auf der onkologischen Station sehr geprägt. Man hat sich mehr Zeit genommen für die pflegerische Versorgung und die Unterstützung. Es war wichtig, dem Patienten zu zuhören. Ich durfte mir als Auszubildende viel mehr Zeit nehmen, als auf meinen Einsätzen davor in den chirurgischen Abteilungen. Dort war es für mich viel zu hektisch und hierarchisch strukturiert.
Es gab ein Palliativbett auf der onkologischen Station. Dieses Zimmer war sehr schön gestaltet und es hatte eine ganz andere Stimmung als die sonstigen Zimmer. Ruhe – ist glaub ich das beste Wort, was ich dort empfand. Durch dieses Empfinden und auch die Tatsache, dass ich keine Angst vor dem Umgang mit dem Tod hatte, wollte ich unbedingt auf einer Palliativstation hospitieren. Dort waren die Atmosphäre, der Umgang miteinander und vor allem mit den Patienten und ihren Angehörigen und die Gestaltung des Arbeitstages das, was mich von Anfang an begeistert hat. In der Palliativmedizin und -pflege wird sich ganz auf den Patienten eingelassen. Nicht nur der Patient wird in seinen Bedürfnissen wahrgenommen, sondern auch das Personal.

 

Begegnen dir viele Vorurteile im Zusammenhang mit deinem Beruf?

Vor einigen Jahren war es recht viel, zumindest kam es mir so vor. Vielleicht war ich da auch noch empfindlicher. Es kamen, auch aus dem privaten Umfeld, oft Sachen wie: „Wie schlimm es sein muss, auf so einer Station zu arbeiten“, „Was haben Sie verbrochen?“, „Wie furchtbar, ständig von Tod umgeben zu sein, wie hältst du das nur aus?“ und „Kannst du eigentlich noch lachen – Freude empfinden?“. Aber ein großes Vorurteil ist tatsächlich auch, jung zu sein. Dass man erst im Alter in diesem Bereich arbeiten kann und sollte. Dass man erst viel Lebenserfahrung braucht, um damit umzugehen zu können und um die Patienten gut betreuen zu können, weil man es sonst nicht lang aushält. Dem Vorurteil möchte ich sehr widersprechen. Ich arbeite nun seit 7,5 Jahren auf unserer Station, habe mit knapp 23 Jahren angefangen. Und im Laufe der Jahre sind viele junge Kollegen dazu gekommen. Unsere jüngste ist aktuell 25 Jahre und fing direkt nach der Ausbildung bei uns an, Ela mit knapp 22 Jahren. Ich empfinde unser „junges Team“ als sehr wertvoll. Wir sehen die Dinge etwas anders, haben eine andere Sicht. Das ist ein großer Vorteil in der Patientenbetreuung. Wir bringen unkonventionelle Ideen mit ein. Und bisher habe ich nicht erlebt, dass mein Alter ein Problem war.

 

Was bedeutet Palliativmedizin und -pflege für die Patient*innen? Und was macht eine gute palliative Betreuung aus?

Wahrgenommen wird der Patient auf allen Ebenen – Krankheitssymptome sowie Sorgen und Ängste. Niemand wird allein gelassen, egal was passiert. Eine gute Palliativbetreuung macht aus, dass man sich vollkommen auf die Werte und die Wahrnehmung des Patienten einlässt. Es ist nur normal, dass wir Probleme und Sorgen desjenigen erstmal ganz anders bewerten. Dies passiert im Unterbewusstsein, aber die eigene Ansicht muss erstmal zurückgestellt werden. Denn die Priorität ist der Wille und Wunsch des Menschen, den wir betreuen. Dies kann zu vielen Gesprächen im Team und bei Besprechungen führen, wenn es gegen unsere Wertvorstellung ist. Aber es ist essenziell.

 

Wird palliative Medizin und -pflege deutschlandweit gleich gut praktiziert oder gibt es da noch regionale Unterschiede?

Ich denke, was reine Palliativstationen betrifft, arbeiten wirklich alle gleich gut. Da gibt es nur minimale Unterschiede. Schwieriger wird es, wenn onkologische Stationen mehrere Palliativbetten haben. Da fällt oft die Abgrenzung bei der medizinischen Behandlung und Betreuung sehr schwer. Was ich gut verstehen kann, man steht oft im ständigen Konflikt. Dieses Umdenken von kurativer Therapie zum palliativen Setting ist ungemein schwer. Die spezielle ambulante Versorgung ist größtenteils sehr gut in Deutschland, aber es gibt Regionen, in denen noch eine gute Anbindung fehlt. Es gibt Palliativ-Teams die teilweise 80 km fahren müssen, um jemanden zu betreuen. Bei Hospizen ist es leider genauso. Es gibt Städte und Regionen, die wirklich eine gute Anzahl von diesen großartigen Einrichtungen haben. Wir in München aber zum Beispiel leider nicht. Wir waren ungemein dankbar, dass noch ein drittes Hospiz außerhalb von München entstanden ist. Davor war es mit zwei Hospizen sehr mühsam, ein Platz für unsere Patienten zu finden.

 

Wie nimmst du die Einstellung der Gesellschaft zum Thema Tod und zum Sterbeprozess wahr? Gibt es viele Vorbehalte und Ängste?

Ich würde es als 50:50 beschreiben. Viele unserer Patienten und Angehörigen können gut mit dem Tod umgehen. Sind traurig über die Situation, nehmen diese aber adäquat an. Andere, auch in unserem privaten Umfeld, tun sich sehr schwer auch nur darüber zu sprechen. Da sind die Ängste stark im Vordergrund. Wir empfinden dies als problematisch. Denn wenn man darüber spricht, fällt einem die Situation, wenn sie einen trifft, deutlich leichter. Oft weiß man dann schon, was sich der Angehörige gewünscht hat und kann diesen Wünschen nachgehen in der Begleitung und fühlt sich etwas sicherer. Im schlimmsten Fall kann es passieren, wenn man den Tod immer verdrängt hat, dass Sterbebegleitungen zu einem traumatischen Erlebnis werden.

 

Wie schirmst du dich ab um diese vielen menschlichen Schicksale für dich zu verarbeiten und zu „ertragen“? Welche Strategien hast du für dich entwickelt?

Unsere Arbeitskleidung ist ein wunderer Schutzmantel. Wir können einfach die Erlebnisse, nach Ende der Schicht, mit der Kleidung abwerfen. Natürlich funktioniert das nicht immer. Dann helfen Gespräche – mit jemanden Vertrauen, in einer Supervision oder in einer Fallbesprechung. Und ich muss auch ehrlich zugeben, dass Sport und Bewegung sehr gut helfen. Oft fällt es einem aber sehr schwer nach dem Dienst, sich noch zu bewegen. Und doch ist Sport fast der perfekte Ausgleich.

 

Ist der Pflegepersonalmangel in der Palliativpflege auch so arg zu spüren, wie in vielen anderen Bereichen?

Wir haben das große Glück, dass bei uns alle Stellen besetzt sind und wir wirklich eine großartige Pflegebereichsleitung haben, sie sich für einen guten Personalschlüssel einsetzt. Wir haben aber von anderen Palliativstationen gehört, dass diese auch mit dem Personalmangel kämpfen, ebenso mit einem schlechteren Personalschlüssel. Wir sind prinzipiell zu viert im Frühdienst für zehn Patienten, wobei ein Mitarbeiter von den Vieren einen Organisationsdienst hat und sich um die Aufnahmen kümmert. Im Spätdienst sind wir seit wenigen Jahren zu dritt. Auf anderen Palliativstation müssen Kollegen zu zweit im Frühdienst und allein im Spätdienst die gleiche Anzahl an Patienten betreuen. Der Personalmangel ist furchtbar, unverantwortlich gegenüber dem Personal. Die psychische Belastung auf einer Palliativstation ist enorm, dass darf man nicht außer Acht lassen. Deswegen ist auch guter Personalschlüssel ungemein wichtig, nicht nur für die Patienten und Angehörigen, sondern auch für das Personal – sonst bricht man wirklich schnell weg.

 

Wie wichtig ist kontinuierliche Fortbildung in eurem Arbeitsbereich?

Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen empfinde ich nicht nur in unserem Bereich als wichtig. Die Angebote halten sich bei uns zwar in Grenzen, aber dennoch findet man immer wieder etwas. Denn auch die Palliativmedizin entwickelt sich stetig weiter, mittlerweile sehr schnell, da viel Forschung und viele Studien betrieben und gefördert werden. Auch wenn sich alte und bekannte Maßnahmen bewährt haben, können neue Entwicklungen uns voranbringen, um noch besser die Patienten zu versorgen und unsere Arbeit auch zu erleichtern.

 

Was muss sich in der Gesellschaft ändern?

Leider wird die Palliativmedizin oft mit Versagen in Verbindung gebracht. Versagen der Ärzte, des Menschen, der die Therapie vielleicht ablehnt. Auch der Tod wirkt oft als menschliches Versagen. Dabei gehört er zum Leben dazu und es wird jeden von uns treffen. Ich würde mir wünschen dass sich dies ändert. Ein Verzicht auf Therapie oder der Wunsch nach Palliativmedizin ist kein Versagen, sondern eine mutige Entscheidung für Lebensqualität am Lebensende. Ich habe großen Respekt vor unseren Patienten, sie sich für unseren Weg entscheiden. Palliativmedizin bedeutet nicht, dass man jemanden aufgibt und nichts mehr für ihn tun kann. Wir können zwar nicht mehr heilen, aber wir können noch wahnsinnig viel für unsere Patienten und deren Angehörige tun. Damit sie in der schweren Zeit gut unterstützt werden.

 

Liebe Sara, ich danke dir ganz herzlich für deine offenen Worte und die Zeit, die du mir für dieses Interview geschenkt hast. Bleib so wie du bist.

 

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2 Antworten

  1. Ich empfinde es ebenfalls als sehr positiv, wenn die Mitarbeiter an regelmäßigen Fort- und Weiterbildungen teilnehmen. Meine Oma ist krank und muss speziell verpflegt werden. Dafür muss ich mir noch einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner für die Palliativpflege suchen.

    1. Wir danken dir für deine Rückmeldung. Fort- und Weiterbildungen sind in der Pflege in jedem Bereich absolut wichtig, weil sich die Erkenntnisse regelmäßig verändern. Wir wünschen dir eine bestmögliche palliative Versorgung deiner Oma. Liebe Grüße

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