Pflege bei Demenz - Zwischen Empathie und dem Respekt vor dem Vergessen.

Pflege bei Demenz – Zwischen Empathie und dem Respekt vor dem Vergessen

Wer wünscht sich nicht, manchmal geschehene Dinge einfach vergessen zu können? Wenn aus diesem, oft unachtsam geäußerten Wunsch, aber eine bittere und unumkehrbare Realität wird, die wir nicht mehr steuern können, nennt man das Demenz. In diesem Blogbeitrag soll es um die professionelle Pflege von Menschen mit Demenz gehen. Wie können wir Pflegefachkräfte diese Menschen würdevoll pflegen und begleiten und ihnen das Vergessen so angenehm wie möglich gestalten?

Die Demenz ist das Damoklesschwert, dass auch über meiner Familie hängt. Meine Uroma mütterlicherseits erkrankte im späten Alter an der Alzheimer-Demenz und meine Oma väterlicherseits auch. Auch wenn die Demenz des Alters keine genetische Disposition aufweist, ist die Sorge darüber, dass auch man selbst eines Tages mehr und mehr Teile des eigenen Lebens vergisst groß – insbesondere dann, wenn man, wie ich, im eigenen Familienkreis erlebt hat, wie geliebte Menschen von dieser Erkrankung Stück für Stück ihres eigenen Wesens beraubt werden.

In Deutschland lebten 2022 rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Laut dem BFMSFJ wird die Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2050 voraussichtlich auf 2,8 Millionen steigen. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 300.000 Menschen an Demenz, zwei Drittel davon an der Alzheimer-Krankheit.[1]https://www.deutsches-stiftungszentrum.de/aktuelles/gegen-das-vergessen#:~:text=Demenz%20ist%20die%20neue%20Volkskrankheit.,auch%20eine%20enorme%20seelische%20Belastung. Damit zählt die Demenzerkrankung ganz klar zu den Volkserkrankungen in Deutschland. Mit den demenziell veränderten Menschen zusammen leiden auch rund 2,5 Millionen pflegende Angehörige, denn die Pflege ist nicht nur körperliche Schwerstarbeit, sondern oft auch eine enorme seelische Belastung. Demenz droht zur zweithäufigsten Todesursache weltweit zu werden.[2]https://www.deutsches-stiftungszentrum.de/aktuelles/gegen-das-vergessen#:~:text=Demenz%20ist%20die%20neue%20Volkskrankheit.,auch%20eine%20enorme%20seelische%20Belastung.

 

Demenz weltweit und in Deutschland

 

 

Was ist denn eigentlich die Demenz?

 

Am Anfang der Krankheit sind häufig Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit gestört, im weiteren Verlauf verschwinden auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Die Betroffenen verlieren so mehr und mehr die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Eine Demenz ist jedoch weitaus mehr als eine Gedächtnisstörung. In ihrem Verlauf kommt es auch zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, der Sprache, des Auffassungs- und Denkvermögens sowie der Orientierung. Somit erschüttert eine Demenzerkrankung das ganze Sein des Menschen – seine Wahrnehmung, sein Verhalten und sein Erleben.

Für Demenzerkrankungen wird eine Vielzahl verschiedener Ursachen beschrieben. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen primären und sekundären Formen der Demenz. Sekundäre Demenzen sind Folgeerscheinungen anderer Grunderkrankungen, wie etwa Stoffwechselerkrankungen, Vitaminmangelzustände und chronische Vergiftungserscheinungen durch Alkohol oder Medikamente. Diese Grunderkrankungen sind behandelbar und zum Teil sogar heilbar. Somit ist häufig eine Rückbildung der Symptome der Demenz möglich. Zur Abgrenzung und rechtzeitigen Behandlung dieser Demenzerkrankungen ist eine frühzeitige Diagnose besonders wichtig.

Allerdings macht dies nur etwa zehn Prozent aller Krankheitsfälle aus. Bis zu 90 Prozent entfallen auf die primären und in der Regel unumkehrbar („irreversibel“) verlaufenden Demenzen.

 

Welche Demenzformen gibt es?

 

 

Viele weitere Informationen zur Unterscheidung der verschiedenen Demenzformen und deren Behandlung haben wir im Beitrag: Welt-Alzheimer-Tag 2023 zusammengefasst.

 

Doch wie sieht die Pflege an Demenz erkrankter Menschen in Langzeitpflegeeinrichtungen eigentlich aus?

 

Um diese Frage zu klären, haben wir uns wieder einen Interview-Gast eingeladen.

 

Vorstellung: Astrid Wiese

Liebe Astrid, bitte stelle dich unseren Lesenden einmal vor :).

Mein Name ist Astrid Wiese. Ich bin 1970 geboren, bin verheiratet und Mutter dreier Kinder. Ich habe von 2014-2017 eine Ausbildung als Altenpflegerin abgeschlossen, meine zweite Ausbildung im Leben, denn mein erster erlernter Beruf als Verkäuferin schien mir nicht herausfordernd genug. In der Ausbildung, die ich in einer Wohneinrichtung der Eingliederungshilfe absolviert habe, lebten mehrere Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer demenziellen Erkrankung. Das Krankheitsbild zeigte sich teilweise sehr unterschiedlich im Vergleich zu dem, was ich in der Theorie gelernt hatte und was ich mit demenziel erkrankten Familienangehörigen erlebte. Zugleich erlebte ich als Auszubildende eine große Überforderung meiner Kolleg*innen (ein Mix aus Pädagogen, Heilerziehungspflegern und Pflegefachkräften) in der Einrichtung.
Also war mein Interesse an der Erkrankung Demenz geweckt. Schon in der Ausbildung habe ich meine externen Praktika dem Thema angepasst. So durfte ich 12 Wochen ein Mix aus Pädagogen, Heilerziehungspflegern und Pflegefachkräften während des Einsatzes in der ambulanten Pflege in einer Demenz-Wohngemeinschaft Erfahrungen sammeln und später hatte ich einen Einsatz von 12 Wochen in der geschlossenen Gerontopsychiatrie.

Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Examen habe ich bei der Lebenshilfe Gelderland angefangen. Im Januar 2019 habe ich mich auf die Stelle der Gruppenleitung beworben und habe mein Aufgabenfeld somit erweitert. Von Oktober 2019-August 2021 habe ich die Weiterbildung zur Gerontopsychiatrischen Fachkraft gemacht. Hier erwarb ich unter anderem Expertise zu den Themen Demenz, Delir, Depressionen und weiteren psychischen Erkrankungen.

Neben meiner Leitungstätigkeit in der Heilpädagogischen Wohnstätte der Lebenshilfe in Weeze, NRW, gebe ich seit 2022 im Auftrag der BiWak (Bildungs und Wissensakademie) der Lebenshilfe Gelderland, Inhouse-Schulungen, Tagesschulungen und Angehörigen-Abende zu dem Thema Demenz, gestalte Pflegestandarts, Expertenstandarts und Pflegeprozesse für Mitarbeitende und Interessierte.

 

Wie unterscheidet sich für dich persönlich die Pflege älterer Menschen von der Pflege an Demenz erkrankter Menschen?

Ich glaube der größte Unterschied liegt darin, dass wir Pflegenden die Menschen mit einer demenziellen Erkrankung nicht mehr kognitiv erreichen können. Menschen mit einer demenziellen Erkrankung nehmen die Stimmung der Pflegeperson schneller/ besser wahr und reagieren darauf. Der Umgang und die Pflege von demenziell veränderten Menschen erfordert viel mehr Zeit, Geduld und Empathie.

 

Wie sieht ein „typischer Tag“ in der Pflege mit Menschen mit Demenz bei dir im Pflegealltag aus?

In der Heilpädagogischen Wohnstätte, bei der ich beschäftigt bin, leben erwachsene Menschen mit kognitiven und / oder körperlichen Behinderungen. Hier sind alle Altersstufen vertreten. Bei mir in der Wohngruppe leben 10 Menschen. Fünf dieser Bewohner haben zusätzlich, zu ihrer Grunderkrankung, eine dementielle Erkrankung. Acht dieser Bewohner sind in einer WfbM tätig, teilweise in speziellen Demenz Gruppen. Zwei Personen werden von der Trägereigenen Tagesbetreuung betreut.

Der Frühdienst beginnt um 5.30 und endet um 14.15 Uhr. Hier sind mindestens zwei Mitarbeitende im Dienst.

Zunächst wird eine Übergabe mit der Nachtwache stattfinden, danach beginne ich die Bewohner zu wecken, die in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung gehen. Dabei verteile ich die Früharznei. Die Bewohner erhalten Unterstützung bei der Morgenpflege. Das reicht von verbaler Motivation, Anleitung, bis zur vollständigen Übernahme der Körperpflege. Dann gibt es Frühstück, auch hierbei sind alle Arten der Unterstützung dabei. Die Morgenarznei wird verteilt. Nun werden die Bewohner von Transferunternehmen zu Ihren unterschiedlichen Werkstätten gefahren.

An dieser Stelle kommt es häufig zu problematischen Situationen, wenn die Transfer-Busse zu früh oder zu spät ankommen. Eine Bewohnerin mit Trisomie 21 und einer demenziellen Erkrankung wird schnell ungehalten und schimpft lautstark, weil der Bus noch nicht da ist. Das Greifen andere Bewohner*innen auf und schimpfen ihrerseits. Hier ist eine Intervention seitens der Mitarbeitenden unerlässlich, um eine Eskalation zu vermeiden. Meistens wird die schimpfende Bewohnerin abgelenkt, wenn das nicht geht, 1:1 betreut. Jetzt erhalten die Bewohner*innen Unterstützung und Pflege, die die Tagesbetreuung besuchen.

Nun ist Zeit für die Organisation von Arztterminen, Arbeitsabläufen, für die Dokumentation, den Kontakt zu gesetzlichen Betreuern, Angehörigen, den Kontakt zur Werkstatt für Menschen mit Behinderung und nicht zuletzt auch für hauswirtschaftliche Tätigkeiten.

Im Spätdienst geht es manchmal etwas turbulenter zu. Ab 16.00 Uhr kommen alle Bewohner*innen nach Hause. Der Ablauf ist strukturiert, um Sicherheit zu geben. Erst mal wird Kaffee getrunken und der Arbeitstag mit den Bewohnern reflektiert. Hier ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden die Stimmung einschätzen, und gegebenenfalls werden Gespräche über den Arbeitstag und oder bestehende Konflikte/ Probleme geführt. Es gibt individuelle Unterstützung beim Baden oder Duschen. Das Abendessen wird vorbereitet und um 18.00 Uhr nehmen alle Bewohner*innen, die das möchten an dem gemeinsamen Abendessen teil. Hier wird von den Mitarbeitenden Arznei verteilt, beim Essen individuell unterstützt und wieder die Stimmung beobachtet. Eine junge Bewohnerin hat eine gestörte Impulskontrolle, was gerade in den Situationen beim Essen dazu führt, dass sie mit Geschirr wirft. Hier ist es wichtig, dass mindestens zwei Mitarbeitende präsent sind, um zu intervenieren.  Vor dem Essen sind viele Bewohner*innen laut und unruhig. Es ist dann erforderlich, auf die demenziell veränderten Bewohner*innen gesondert einzugehen. Allgemein ist es so, dass mehr auf die emotionale Verfassung der betroffenen Menschen eingegangen wird.

Am Wochenende werden zusätzlich noch Freizeitangebote durchgeführt.
Das ist jetzt nur ein grober Umriss des typischen Pflegealltags.

 

Welche Voraussetzungen muss eine Pflegeinrichtung bieten können, um Menschen mit Demenz optimal betreuen zu können?

Insbesondere das, woran es fast überall in der Pflege mangelt: Ausreichend Personal. Zudem braucht es vermehrte Schulungen zum Thema: Demenzielle Erkrankungen, spezielle Verhaltensweisen, Kommunikationstechniken und Biographiearbeit. Die Pflegeplanungen und bei uns in der Eingliederungshilfe, die BEI NRW-Ziele und Maßnahmen müssen sehr individuell auf die Person mit der demenziellen Erkrankung zugeschnitten sein. Die Freizeit- und Betreuungsangebote müssen immer an den jeweiligen Verlauf und Stand der Erkrankung der Bewohner*innen angepasst werden. Zudem ist eine an die Erkrankung angepasste Umgebung mit Orientierungshilfen sicher auch sinnvoll und hilfreich.

 

Wie sähe für dich eine ganzheitliche Pflege von Menschen mit Demenz aus?

Die ganzheitliche Pflege beinhaltet eine umfassende, individuelle Betreuung, die sich nicht nur auf die körperliche und medizinische Versorgung beschränkt, sondern vor allem auf die geistigen und emotionalen Bedürfnisse eingeht. Es geht darum, die Lebensqualität zu verbessern und die Würde zu wahren.

 

Was hältst du vom Konzept des Demenzdorfs?

Es kann eine gute Möglichkeit für die betroffenen Menschen sein, ein weitgehend selbstständiges und selbst bestimmtes Leben, in einem geschützten Rahmen zu führen. Die Menschen, die dort hinziehen, müssen eine solche Entscheidung bereits vor ihrer Erkrankung treffen, und das ist das Problem bei diesen Demenzdörfern. Die meisten alten Menschen wollen meiner Erfahrung nach selten im Alter noch mal umziehen. Sie möchten in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, ein erzwungener Umzug (auch in ein Pflegeheim) hat oft eher den negativen Aspekt, dass die Menschen rapide abbauen, und sich der Allgemeinzustand schnell verschlechtert.

Ich denke auch, dass diese speziellen Demenzdörfer weit von der Integration in das tägliche Leben entfernt sind, denn die Menschen mit Demenz verschwinden aus unserem Bewusstsein, aus der öffentlichen Wahrnehmung. Das erscheint mir nicht richtig.

Ein weiteres Problem ist die stetige Zunahme demenzieller Erkrankungen. Wenn ich auf die demographische Entwicklung schaue, müsste es in Zukunft mehr Demenzdörfer als „normale“ Dörfer geben. Das scheint nicht realistisch zu sein.

 

Welche Fort- und Weiterbildungen kannst du persönlich für Kolleg*innen aus der Pflege empfehlen, um sich in der Betreuung demenziell veränderter Menschen bestmöglich weiterzubilden.

Meine 😊. Die Fortbildung zur Gerontopsychiatrischen Fachkraft

Wichtige Themen sind für Schulungen von Pflegepersonal: Grundkenntnisse zu Demenzformen, Kommunikationsformen, die Gestaltung der Beziehungen, pflegerische u. therapeutische Maßnahmen, Beschäftigung und Aktivierungsmaßnahmen, Deeskalationsstrategien, Umgang mit herausforderndem Verhalten, praktische Übungen und praxisnahe Fallbeispiele.

 

Wo siehst du aus deiner Sicht als Fachperson im Hinblick auf die Pflege Demenzkranker die größten Schwierigkeiten, wenn diese Menschen zusätzlich zu Demenz akut erkranken und ins Krankenhaus kommen?

Für die Erkrankten ist es kaum möglich, die Situation zu erfassen. Sie sind desorientiert und können oft keine Auskunft über ihre Krankengeschichte geben. Auch Beschwerden zu benennen, fällt ihnen schwer, oder ist nicht mehr möglich. Dem Inhalt, eines Aufklärungsgespräches können die erkrankten Personen nicht mehr folgen. Das Pflegepersonal benötigt intensive Unterstützung von An- und Zugehörigen. Ebenfalls ist bei Untersuchungen und Gesprächen viel mehr Zeit erforderlich, um die Situation zu erfassen.

 

Welche Möglichkeiten gibt es in deinem Tätigkeitsbereich, Menschen mit Demenz zu pflegen, obwohl sich der Personalmangel so eklatant bemerkbar macht?

Es gibt im Haus die Möglichkeit personelle Unterstützung von anderen Wohngruppen zu erhalten. So lassen sich zumindest situativ personelle Engpässe überbrücken. Ansonsten, wie fast überall- Aufgaben werden priorisiert.

 

Vielen lieben Dank Astrid, dass du dir Zeit für unsere Fragen genommen hast und natürlich auch für dein Engagement für Menschen mit Demenz.

Quellenangaben

Quellenangaben
1, 2 https://www.deutsches-stiftungszentrum.de/aktuelles/gegen-das-vergessen#:~:text=Demenz%20ist%20die%20neue%20Volkskrankheit.,auch%20eine%20enorme%20seelische%20Belastung.
Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
Reddit

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner