Familienalltag im Schichtdienst

Frühes Aufstehen, die Türklinke in die Hand geben, gefühlte Alleinerziehung. Und nur am Wochenende mal Familienzeit. So kann man sich Familie im Schichtdienstmodell vorstellen? Oder? Lasst uns das doch mal etwas genauer hinterfragen.

Ich bin Gesundheits- und Krankenpflegerin für Anästhesie und Intensivmedizin aus Berlin. Ausgelernt seit 2009 und danach direkt mit Vollgas in den Vollzeit-Schichtdienst gestartet. Es war großartig, auch mal unter der Woche Termine wahrnehmen und danach arbeiten gehen zu können oder abends mit Freunden in einer Bar zu versacken und trotzdem am nächsten Tag ausgeschlafen zum Dienst antreten zu können. Mir gab der Schichtdienst in den ersten Jahren ein gewisses Gefühl von Freiheit. Ich konnte mir meine Zeit besser einteilen, hatte gefühlt mehr von der Zeit außerhalb der Arbeit und war nicht in diesem starren 9-to-5-System gefangen. Zudem empfand ich es als sehr spannend, immer wieder aus dem Trott eines starren Schichtablaufes herauszukommen und mich wieder in die anderen Schichten einzugewöhnen. Denn Früh-, Spät- und Nachtdienst unterscheiden sich schon ein ganzes Stück in der Struktur der Arbeitsweise und den jeweiligen Aufgaben.

Gestört hat mich eigentlich nur, wenn ich an den Wochenenden Früh- oder Nachtdienst hatte und  mitbekam, wie all meine Freunde abends ausgingen und ich nicht mitkonnte, weil ich arbeiten musste.

Diese grundsätzlich positive Einstellung zum Schichtdienst änderte sich auch mit festem Lebenspartner nicht. Klar sieht man sich nicht so häufig, wenn der Partner im 9-5-System arbeiten geht und hat auch nicht immer gemeinsame Wochenenden. Aber ein bisschen Freiheit in der Beziehung, um sich selbst zu entwickeln, die eigenen Träume zu jagen und den eigenen Hobbys nachzugehen ist doch auch schön.

Und nun kommts. Was solo Spaß macht und mit Partner*in tolerabel ist, wird mitunter zum Problem, wenn Nachwuchs ins Haus steht. Nicht ausschließlich wegen des Nachwuchses, sondern vielmehr, weil die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Deutschland so rapide abgenommen haben. Eine Kita, die vor 6Uhr die Tore öffnet? Kaum noch zu finden. Eine Kita, die auch 18Uhr noch geöffnet hat? Die rare Ausnahme. Eine Kita, die ans 3-Schicht-Modell angepasst ist? Die Nadel im Heuhaufen.

 

Wie läuft ein Tag in meinem Leben ab?

Ich bin Mutter eines fast 6-jährigen Sohnes. Mein Mann arbeitet auch im Schichtdienst. Unter der Woche mache ich nur Frühdienst, denn unsere Kita schließt um 16 Uhr. Alternativ könnte ich wochentags noch Nachtdienste machen, allerdings käme ich dann zumeist nicht auf mehr als 6 Stunden Schlaf pro Tag. Spätdienst geht unter der Woche für mich gar nicht, weil ich unser Kind aus der Kita abholen muss.

Wenn ich Frühdienst habe, klingelt um 4Uhr morgens mein Wecker. Morgens habe ich gern noch etwas Ruhe für mich. Ein bisschen Me-Time und Achtsamkeit, bevor ich in die Turbulenzen des Tages starte.

Am Abend zuvor bereite ich mein Essen für die Pause im Dienst vor, lege mir Klamotten raus und mache alle Arbeitssachen startklar. Ich hasse es, morgens schnell schnell machen zu müssen. Deswegen ist auch der Gedanke zu verschlafen mein absoluter Endgegner (passiert mir glücklicherweise nahezu nie).

Nach dem Wecker klingeln schäle ich mich dann ganz leise aus meinem oder alternativ dem Kinderbett (je nachdem wie die Nacht so lief) und tapse in die Küche. Damit die Katzen nicht wie irre anfangen zu mauzen (denn sie sind morgens prinzipiell vor Hunger und Vernachlässigung dem Tode nah ^^), füttere ich die beiden und schlüpfe ins Badezimmer. Dort versuche ich aus dem verschlafenen faltigen Wesen, das mich allmorgendlich aus dem Spiegel anblickt einen wachen motivierten Menschen zu machen. Im Anschluss tapse ich zurück in die Küche und setze mir heißes Wasser für einen Cappuccino auf, den ich dann bei einer Viertelstunde Netflix auf dem Tablet mit Kopfhörern in den Ohren und auf dem Küchenboden sitzend, genieße.
Warum in der Küche? Weil unsere Altbau-Wohnung so hellhörig ist, dass nahezu jedes Geräusch in allen Zimmern ankommt. Also ist Vorsicht und Stille zu so früher Stunde das Gebot, wenn nicht Kind und Mann auch so früh aus den Federn rollen sollen.

Ich packe mein Essen und etwas zu trinken ein, schlüpfe in Schuhe und Jacke und steige gegen 5 Uhr dann aufs Fahrrad oder alternativ ins Auto, wenn mein Arbeitsort länger als 40Minuten Fahrzeit von daheim entfernt ist. Ich fahre echt gern Fahrrad. Zum einen, weil die Straßen zu so früher Zeit noch relativ leer sind und zum anderen, weil ich mit Musik in den Ohren (genauer gesagt in einem Ohr, denn das andere muss den Verkehr mitbekommen) beim Fahren nochmal schön entschleunigen und mich seelisch auf den bevorstehenden Dienst vorbereiten kann.
Im Auto ist das immer etwas anders. Da beschäftige ich mich schon beim Losfahren damit, wie voll wohl die Straßen sein werden, ob es Stau auf der Stadtautobahn geben könnte und ob ich einen (bezahlbaren) Parkplatz finde. Dadurch, dass im Leasing die Einsatzorte wechseln, ist nicht immer klar, wie die Gegebenheiten vor Ort aussehen.

Vor Ort angekommen, finde ich hoffentlich schnell einen Parkplatz oder schließe ich fix mein Fahrrad an und suche die Station, auf der ich gebucht bin. Ich klingele, stelle mich vor und lasse mir die Umkleide zeigen. Wenn ich schon mal auf der Station war, entfällt letzteres natürlich, weil ich dann schon weiß, wo es lang geht. Umgezogen gehe ich dann mit Sack und Pack in den jeweiligen Pausenraum und stelle mich bei meinen Kolleg*innen der Schicht vor.

Gegen 6 Uhr oder 6.30 Uhr beginnt dann der Frühdienst. Ich hole mir die Patientenübergabe vom Nachtdienst und lasse mir eventuell noch fix die Station zeigen und Besonderheiten der Station im FD erklären, falls ich noch nie zuvor auf der Station war. Ich gebe wie immer motiviert mein Bestes für meine Patient*innen und versuche auch meinen Kolleg*innen gegenüber gute Laune und Leichtigkeit, aber natürlich auch Hilfsbereitschaft zu zeigen.

Währenddessen bringt Zuhause der Papa unseren Sohn in die Kita und geht dann auch arbeiten.

Wenn der Frühdienst 14.30 Uhr endet, fahre ich entspannt los in Richtung Kita, um den Junior abzuholen. Wenn mein Dienst aber erst um 15 Uhr oder sogar noch später endet, stecke ich schon zum Ende des Dienstes im innerlichen Stress-Modus.
Ich hoffe dann inständig, dass der/die übernehmende Kolleg*in meine Patienten schon kennt und ich meine Übergabe nicht elendig weit ausdehnen muss und es nicht durch einen ganz blöden Zufall eine Notfallsituation genau zur Übergabe gibt, bei der ich helfen muss.

Dann geht’s für mich rauf aufs Rad oder rein ins Auto und Richtung Kita, um pünktlich 16 Uhr zur Schließzeit mein Kind einzusammeln, das zu dieser Zeit wahrscheinlich schon wieder das letzte Kind in der Kita ist. Unterwegs dorthin werden Stoßgebete in den Himmel geschickt, dass nicht jede Ampel auf Rot schaltet oder gar ein Feierabendstau entsteht. Wenn ich es dann zur Kita geschafft habe und mein Kind an meiner Seite sitzt oder Fahrrad fährt, kommt, je nach Laune, etwas Entschleunigung in den Tag.

Ach halt, ich vergaß. Einkaufen steht noch auf dem Plan. Mit Kind nach langem Kita-Tag nicht immer ein schönes Unterfangen. Aber was muss, das muss. Also wird eingekauft, dabei versucht, die Laune des Kindes abzufangen und zu kanalisieren und der Einkauf im Anschluss dann mit dem Fahrrad (oder im Auto) zusätzlich zum Arbeitsrucksack und den Kindersachen nach Hause gebuckelt.

Und dann geht’s direkt rein ins Abendritual-Hamsterrad. Es gilt dafür zu sorgen, dass das Kind in die Wanne kommt und dabei Spaß hat, nebenbei muss ich Abendessen vorbereiten und wenn möglich ein bisschen Haushalt erledigen (das was der Papa am Morgen vielleicht nicht mehr geschafft hat oder was darüber hinaus noch zu erledigen ist). Immerhin sollen die Lebensmittel aus dem Supermarkt ja auch noch möglichst schnell in den Kühlschrank und den Tiefkühler.

Die Katzen wollen auch noch versorgt werden und eigentlich wäre schon auch irgendwie cool, wenn noch ein bisschen Zeit für mich selbst bliebe.

Nach dem Abendessen wird noch eine kleine Runde Kinderfilm geschaut, gekuschelt, zum Zähne putzen überredet und anschließend ins Bett begleitet. Und letzteres kann manchmal dauern.

Wenn alles gut läuft, ist es nun 19.30Uhr.
Wenn ich bis zum nächsten Frühdienst mindestens 7 Stunden Schlaf haben möchte, sollte ich 21 Uhr eingeschlafen sein. Also: noch anderthalb Stunden bis zum Lidschluss.
In diese Zeit möchte noch ehrenamtliche Arbeit, Social Media Input und vielleicht auch etwas Sport untergebracht werden. Ach ja und dann gibt’s da ja auch noch den Partner, der auch noch etwas Zeit mit mir verbringen will.

Gefühlt fehlen einem Frühdiensttag in meinem Leben mindestens 2 Stunden, um all den Anforderungen und auch mir selbst gerecht zu werden.

 

Im Nachtdienstmodus sieht es eigentlich nicht anders aus. Der einzige Vorteil ist hier, dass die Me-Time direkt nach dem Aufstehen kommt und ich diese tatsächlich ganz für mich alleine hab, weil außer mir zumeist niemand Zuhause ist. Allerdings reden wir hier auch wieder nur von einer knappen Stunde, denn auch dann winkt schon wieder die Kitaschließzeit. Und ehrlicherweise möchte ich mein Kind nicht immer als letztes Kind aus der Kita abholen. Kind abgeholt, wiederholt sich der Ablauf, den ich oben bereits beschrieben habe.

 

Was bedeutet Schichtarbeit für mich?

 

Ich verbinde mit dem Begriff Schichtdienst das klassische Schichtsystem im Gesundheitswesen und eine Möglichkeit eine 24-Stunden-Betreuung für kranke und hilfsbedürftige Menschen zu gewährleisten. Privat sehe ich die Vorteile eher darin, Termine wahrnehmen zu können, ohne mir dafür frei nehmen oder Urlaub einreichen zu müssen. Und darin, auch mal alleine zu sein. Das mag vielleicht nicht jeder nachvollziehen können, aber für mich sind diese Momente ohne andere Menschen, auch ohne meine Familie, wirklich essenziell. Ich liebe die Zeit mit meiner Familie, aber ich habe mich selbst darüber nicht verloren und möchte das auch nicht.

Schichtarbeit heißt für mich aber auch, sich gut organisieren zu müssen. Klare Absprachen und notwendigerweise ein Familien-Kalender, in dem wichtige Termine vermerkt werden. Denn ohne diesen gehen viel zu viele wichtige Termine unter. Und für mich persönlich ganz wichtig: Ein Partner an meine Seite, der mitdenkt, mitarbeitet und sich genauso in die Carearbeit einklinkt, wie ich es tue.

 

Zu guter Letzt kann ich aus meiner Perspektive nur berichten, wie die Schichtarbeit im 2-Schicht-System funktioniert. Ich ziehe aber echt den Hut vor allen Kolleg*innen, die all das im regelmäßigen 3-Schicht-System wuppen. das ist sicherlich noch einmal ein Ende herausfordernder.

 

 

Welche Vor- und Nachteile hat Schichtarbeit für Familien?

 

Im Schichtdienst zu arbeiten, kann definitiv auch seine Vorteile haben. Nicht nur als Single, sondern auch im Familienkonstrukt. Welche das sein können, lest ihr hier:

 

 

Aber es wäre illusorisch zu glauben, dass die Arbeit im Schichtdienst in Kombination mit einer Familie alles einfacher macht. Insgesamt hat Schichtdienst auch viele Nachteile, unter anderem auch insbesondere auf unsere Gesundheit. Dazu kommt, dass zumeist einer von beiden Elternteilen, seine Arbeitszeit reduzieren muss, um dem Spagat zwischen Schichtdienst, reduzierten Kita-Öffnungszeiten und intaktem Familienleben gerecht zu werden.

 

 

 

Arbeitest du im Schichtdienst? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gesammelt?
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