Welche Pflege braucht ein Kind im Autismus-Spektrum?

Welche Pflege brauchen Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung?

In diesem Blogbeitrag werden wir die Herausforderungen diskutieren, vor denen Kinder mit Autismus im Krankenhaus stehen, sowie bewährte Praktiken und Ansätze zur Verbesserung ihrer Erfahrungen und Ergebnisse. Es ist von entscheidender Bedeutung, ein Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen und Wege zu finden, wie Krankenhäuser ihre Dienstleistungen besser an die Bedürfnisse dieser besonderen Bevölkerungsgruppe anpassen können.

Klinikaufenthalte sind sicherlich für niemanden wünschenswert und selten mit Vorfreude verknüpft. Für Menschen, die sich im Autismus-Spektrum befinden, die auf alltäglich gleiche Routinen angewiesen sind, die ihre festen Bezugspersonen brauchen, um den Alltag meistern zu können und für die alles Neue und Unbekannte zu richtigen mentalen und körperlichen Krisensituationen führen kann, sind Klinikaufenthalte der Worst Case. Insbesondere für Kinder.

Die Versorgung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) im Krankenhaus ist eine komplexe Angelegenheit, die sowohl für medizinisches Fachpersonal als auch für Familien herausfordernd sein kann. Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die soziale Interaktion, die Kommunikation und das Verhalten auswirken kann. Wenn diese Kinder medizinische Versorgung im Krankenhaus benötigen, können sich besondere Schwierigkeiten ergeben, da die Umgebung, die Abläufe und die Kommunikation selten auf die Bedürfnisse von Kindern mit Autismus abgestimmt sind.

 

Was ist denn Autismus eigentlich?

 

Der Begriff Autismus umfasst eine Reihe von Entwicklungsstörungen mit vielseitigen Symptomen. Ärztinnen und Ärzte sprechen deshalb eher von Autismus-Spektrum-Störungen.

Kennzeichnend für diese Störungen sind Schwierigkeiten, das soziale Miteinander von Menschen zu verstehen sowie sich in einer Situation angemessen auszudrücken und zu verhalten. Menschen mit Autismus haben daher häufig von klein auf Probleme, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Das gilt sowohl in der Familie als auch in der Schule oder später im Beruf.

 

Verhalten eines Kindes im Autismus-Spektrum

 

Typisch bei Autismus sind auch sich häufig wiederholende (stereotype) Verhaltensweisen und stark eingeschränkte, einseitige Interessen. Etwa die Hälfte der Menschen mit Autismus zeigt außerdem geistige (kognitive) Einschränkungen oder eine geistige Behinderung.[1]https://gesund.bund.de/autismus#auf-einen-blick

 

Bei den Autismus-Spektrum-Störungen unterscheidet man folgende Formen:

  • frühkindlicher Autismus, auch Kanner-Syndrom genannt
  • atypischer Autismus
  • Asperger-Syndrom

 

Weiterführende Informationen könnt ihr in unserem Blogbeitrag zum Welt-Autismus-Tag nachlesen.

 

Overload, Meltdown, Shutdown

 

 

Ist Autismus heilbar?

 

Therapien können Autismus nicht heilen. Die Behandlung der Autismus-Spektrum-Störung verfolgt insbesondere das Ziel, das Kind oder die Jugendliche bzw. den Jugendlichen möglichst gut am Alltag teilhaben zu lassen. Auch die Entlastung der Familie ist ein wichtiges Ziel.

Autismus-Spektrum-Störungen können sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Kaum ein Kind hat die gleichen Besonderheiten und Schwierigkeiten, wie ein anderes Kind. Autismus verläuft sehr individuell und genauso muss auch die Behandlung erfolgen. Es gibt daher für die Behandlung jeweils eigene Schwerpunkte. Einige Grundsätze gelten aber für die meisten Kinder und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung. Dabei ist es wichtig, sich realistische Ziele für die Behandlung zu setzen. Diese können dann von allen, die mit dem Kind leben oder es behandeln und begleiten, gemeinsam verfolgt werden.

Für die Behandlung einer Autismus-Spektrum-Störung stehen immer mehr gut untersuchte Bausteine zur Verfügung.
Dazu gehören z.B.:

  • Informationen über die Erkrankung
  • Beratung über den hilfreichen Umgang mit der Erkrankung
  • Elterntrainings
  • Verhaltenstherapie
  • gezielte medikamentöse Therapie

 

Die Behandlung sollte optimal auf die Situation Ihres Kindes zugeschnitten werden. Je nach Alter des Kindes und Ausprägung der Symptome können dazu einzelne passende Bausteine gewählt werden. Durch die Behandlung können soziale Kompetenzen und alltagspraktische Fertigkeiten eingeübt und verbessert und herausforderndes, belastendes Verhalten abgebaut werden.[2]https://www.lwl-klinik-paderborn.de/de/fuer-patienten-angehoerige/informationen-zu-erkrankungen-kinder-jugendpsychiatrie/autismus-bei-kindern-jugendlichen/

 

Wo liegen die Herausforderungen für Kinder im ASS während eines Krankenhausaufenthaltes?

 

Krankenhausaufenthalte sind schon für erwachsene autistische Menschen eine große Problematik, da Krankenhäuser im Allgemeinen nicht auf Menschen mit Autismus eingestellt sind. Die enge Nähe zu Mitpatient*innen, z.B. in Mehrbettzimmern, die Angst und Unkenntnis über den Ablauf und eine enge zeitliche Struktur, sind große Hürden für autistische Menschen. Es ist laut, hell, unruhig, oftmals warm, die Situation für Kinder und deren Eltern unübersichtlich, schlecht kalkulierbar und daher sehr anspruchsvoll für alle Beteiligten. Es gibt viele Sinnesirritationen, wie fremde Gerüche, Licht, Lärm, Berührungen, Geschmacksreizungen durch Medikamentenverabreichung, taktile Irritationen.[3] https://www.autismus.ch/uploads/pdfs/arbeiten_zum_thema_ass/Diplomarbeit_ASS_Sandra%20Blum.pdf Für Kinder, deren Verständnis für gängige Strukturen und Abläufe entwicklungsbedingt noch gar nicht vorhanden ist und die die Nähe und Fürsorge ihrer Eltern brauchen, ist ein Krankenhausaufenthalt noch um ein Vielfaches problematischer als für Erwachsene. Häufig wird sogar ein Krankenhausaufenthalt autistischer Menschen abgelehnt, weil die Eltern ihr Kind nicht begleiten können.

Wenn eine adäquate Begleitung nicht möglich ist, werden autistische Menschen mitunter auch mit Medikamenten ruhig gestellt, um den Umgang mit ihnen zu erleichtern. Oftmals wird erwachsenen autistischen Menschen auch die Fähigkeit abgesprochen selbst Entscheidungen zu treffen und an wichtigen Gesprächen teilzunehmen, da Menschen mit Autismus soziale und emotionale Signale nur schwer einschätzen können und auch Schwierigkeiten haben diese Signale auszusenden. Die Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen oder Verhaltensanpassungen an soziale Situationen sind selten angemessen. Deutlich eingeschränkt ist auch das Imitationsverhalten von Menschen mit Autismus, was Auswirkungen auf die Entwicklung des „So tun also ob”- Spiels und des nachahmenden Spieles hat.  Im Bereich der Kommunikation sind die Entwicklung des Sprachgebrauches und des Sprachverständnisses gleichermaßen betroffen. Dadurch sind wechselseitiger Gesprächsaustausch, Flexibilität im Sprachausdruck und in der Sprachmelodie ebenso wenig ausgeprägt wie die Ausprägung begleitender Gestik, durch welche die sprachliche Kommunikation betont oder ihr Sinn unterstrichen werden würde.[4]https://www.autismus.de/was-ist-autismus.html

Dadurch wird vom Fachpersonal eher das Gespräch zu betreuenden Personen oder Angehörigen gesucht, als zum Patienten/zur Patientin selber. Das ist allerdings auch dem Umstand zuzuschreiben, dass Krankenhauspersonal im Umgang mit autistischen Verhaltensweisen überwiegend nicht geschult ist und Zeit im Krankenhaus ein rares Gut ist.

 

Mögliche Probleme auf Seiten des medizinischen Personals:

  • Personalmangel und dadurch entstehender Zeitdruck
  • regelmäßig wechselnde Zuständigkeiten für ASS-Patient*innen und dadurch wenig Kontinuität
  • fehlendes Wissen über Autismus Spektrum Störungen (Kenntnisse über Extremformen von Autismus, nicht aber über milde Formen, mangelnde Kenntnisse über sensorische Besonderheiten, mangelnde Kenntnisse über Kommunikations- und Interaktionsschwierigkeiten)
  • Vorurteile bei Kindern, die Stereotypien oder Anzeichen von Overload zeigen und Kindern die Blickkontakt meiden –> sie werden oft als herausfordernd und schlecht erzogen bewertet
  • fehlendes Interesse
  • knappe Platzverhältnisse im Zimmer und dadurch fehlende Rückzugsmöglichkeiten für das Kind mit ASS
  • fehlende Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit[5]https://www.autismus.ch/uploads/pdfs/arbeiten_zum_thema_ass/Diplomarbeit_ASS_Sandra%20Blum.pdf

 

Welche Möglichkeiten gibt es, um Kindern mit Autismus einen Krankenhausaufenthalt zu erleichtern?

 

Samet & Luterman (2019) empfehlen ein 4-Schritte-Protokoll zur Verbesserung der Betreuung von Kindern mit ASS in Notfallsituationen. Diese Tipps lassen sich aber auch auf andere Bereiche des Krankenhauses übertragen, weil sie sich insbesondere auf die sensorischen Empfindungen autistischer Kinder beziehen. Sie nennen dieses Protokoll SEE-HEAR-FEEL-SPEAK:

 

SEE, HEAR, FEEL, SPEAK

 

Um Kinder vor den reizüberflutenden sensorischen Eindrücken im, Krankenhaus abzuschirmen, könnte auf jeder Station auch eine ASS-Box angelegt werden. In dieser werden Hilfsmittel zur Abschirmung aufbewahrt: Kopfhörer, eine Sonnenbrille, sensorisches Spielzeug, eine Nasenklammer (gegen Gerüche).

Der wichtigste Punkt ist an der Stelle das Wissen der Mitarbeitenden. Die Kernsymptomatiken von Menschen mit Autismus-Spektrum-Syndrom müssen Mitarbeitende (er)kennen und sich dementsprechend verhalten. Das kann durch konsequente Schulung und durch Fortbildungen erreicht werden. Da aufgrund des Personalmangels während der Arbeitszeit eher kein Raum für kurze Teachings bleibt, wären Teamsitzungen separate Fortbildungstage dafür ideal. Zudem wäre es sinnvoll, wenn Krankenhäuser eigene SOPs (Standard Operating Procedure = Standartvorgehensweise) für die Behandlung von Patient*innen mit ASS implementieren, sodass jederzeit eine Möglichkeit der Information für Mitarbeitende zur Verfügung steht und die Behandlung für Autist*innen standardisiert verbessert wird.

Grundsätzlich sollten alle äußeren Reize auf ein Minimum reduziert werden. Die Bereitstellung eines Einzelzimmers wäre ideal; für Kinder sollte Rooming-In mit ihren Eltern standartmäßig ermöglicht werden. Fremde Menschen sollten das Zimmer nach Möglichkeit nicht betreten, sodass es in der Betreuung sinnvoll ist, eine ärztliche und eine pflegerische Bezugsperson festzulegen. Autistische Kinder brauchen mehr Zeit für alles und alle Handlungen und Abläufe müssen alles ausführlich erklärt werden. Die Eltern von Kindern mit ASS müssen gut in die Behandlung mit einbezogen werden, weswegen klare Kommunikationsstrategien in der Interaktion mit autistischen Kindern und deren Eltern einen hohen Stellenwert haben. Jede Kommunikation muss klar und einfach gehalten werden. Körperliche Berührungen sollten auf ein Minimum reduziert werden und nur in Absprache mit dem Kind geschehen; wenn möglich auch nur im Beisein der Eltern und durch die pflegerischen und ärztlichen Bezugspersonen.[6]https://www.autismus.ch/uploads/pdfs/arbeiten_zum_thema_ass/Diplomarbeit_ASS_Sandra%20Blum.pdf[7]https://www.aerzteblatt.de/archiv/197500/Barrierefreiheit-Medizinische-Versorgung-von-Menschen-mit-Autismus

 

Welche Möglichkeiten fallen euch noch ein, um die Betreuung von Menschen mit ASS und insbesondere Kindern mit ASS im Krankenhaus zu verbessern?

Quellenangaben

Quellenangaben
1 https://gesund.bund.de/autismus#auf-einen-blick
2 https://www.lwl-klinik-paderborn.de/de/fuer-patienten-angehoerige/informationen-zu-erkrankungen-kinder-jugendpsychiatrie/autismus-bei-kindern-jugendlichen/
3 https://www.autismus.ch/uploads/pdfs/arbeiten_zum_thema_ass/Diplomarbeit_ASS_Sandra%20Blum.pdf
4 https://www.autismus.de/was-ist-autismus.html
5, 6 https://www.autismus.ch/uploads/pdfs/arbeiten_zum_thema_ass/Diplomarbeit_ASS_Sandra%20Blum.pdf
7 https://www.aerzteblatt.de/archiv/197500/Barrierefreiheit-Medizinische-Versorgung-von-Menschen-mit-Autismus
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