Wer ruft Warnstreiks aus? Welche Akteure verhandeln über neue Berufsbezeichnungen oder wer macht eigentlich die gesetzlichen Grundlagen in der Pflege? All das sind Fragen, die nur jemand beantworten kann, der sich mit der Berufspolitik im Pflegekontext beschäftigt hat. Das kostet mitunter viel Zeit. Um euch die Suche zu ersparen, geben wir euch hier eine kleine Übersicht mit den wichtigsten Informationen rund um das Thema Berufspolitik.
Was ist eigentlich Berufspolitik?
Die Berufspolitik im Pflegekontext spielt eine entscheidende Rolle in der Weiterentwicklung und Stärkung der Pflegeprofession.
Die Basis jeder berufspolitischen Handlung ist die aktive Beteiligung von Pflegefachkräften und ihren Organisationen an politischen Prozessen, um gebündelt die beruflichen Interessen zu vertreten und die Qualität in der Pflege zu verbessern. Ein berufspolitisches Standing ist für die Pflege von entscheidender Bedeutung, da es der Profession die Möglichkeit bietet, auf politischer Ebene Einfluss zu nehmen und die Rahmenbedingungen für die Pflegepraxis zu gestalten. Dies ist besonders wichtig, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Pflegeberufe berücksichtigt werden und dass Pflegepraktiken auf evidenzbasierten Standards beruhen.
Berufspolitik ermöglicht es Pflegefachkräften auch, auf Arbeitsbedingungen, angemessene Vergütung und berufliche Anerkennung zu drängen. Sie können politische Instrumente nutzen, um die Herausforderungen anzugehen, denen die Pflegebranche gegenübersteht, wie beispielsweise den Fachkräftemangel, die Belastung des Pflegepersonals und die kontinuierliche Professionalisierung der Pflege.
Ein starkes berufspolitisches Engagement fördert nicht nur die Pflegeberufe selbst, sondern kommt auch den Patienten zugute. Durch politische Maßnahmen können verbesserte Patientenversorgung, Patientensicherheit und eine bessere Integration von Pflegeleistungen erreicht werden.
Insgesamt benötigt die Pflegeprofession ein berufspolitisches Standing, um ihre Anliegen zu verteidigen, ihre Expertise einzubringen und die Entwicklung der Pflegepraxis in einer sich ständig verändernden Gesundheitslandschaft zu beeinflussen. Ein aktives Engagement in der Berufspolitik ist unerlässlich, um die Pflege als eigenständige und bedeutende Disziplin innerhalb des Gesundheitswesens zu stärken und ihre zukünftige Rolle zu formen.
Wer vertritt die Pflege?
Eigentlich sollte diese Frage total einfach zu beantworten sein. Das ist sie aber nicht. Denn für die Pflegeprofession gibt es nicht „den einen“ Ansprechpartner oder „die eine“ Ansprechpartnerin. Im Vergleich zu anderen Berufen, steckt die Berufspolitik in der Pflege noch in den Kinderschuhen. Nicht etwa, weil sie neu wäre, sondern, weil noch viel zu wenige Pflegekräfte wissen, was Berufspolitik ist und warum diese essentiell für die Zukunft des Pflegeberufes ist. Dementsprechend gering sind die Mitgliederzahlen in den existierenden Organisationen.
An diesem Organigramm ist deutlich zu erkennen: Die Pflegeprofession spielt in der gesundheitspolitischen Landschaft unseres Gesundheitssystems keine Rolle. Ärzte und Ärztinnen sind vertreten, die Krankenkassen, die Industrie und diverse Institute. Die Pflegeprofession fehlt dort völlig. Und genau diese Tatsache ist der unumstößliche Beweis dafür, wie dringend die Pflegeprofession eine berufspolitische Organisation und ein berufspolitisches Standing braucht.
Welche berufspolitischen Organisationen gibt es für Pflegeprofession?
Zuerst einmal gibt es da die Berufsverbände.
Ein Berufsverband ist ein freier und unabhängiger Zusammenschluss von Angehörigen des gleichen Berufs oder verwandter Berufe. Er vertritt gegenüber Arbeitgeber*innen, der Öffentlichkeit und der Politik die Interessen der jeweiligen Berufsgruppe. Als dauerhafte Vereinigung verfolgt der Verband über individuelle Ziele. Er besteht fort, auch wenn seine Mitglieder wechseln. Im juristischen Sinn bildet die Gruppe der gemeinsam organisierten Einzelpersonen eine Körperschaft. Entsprechend der zugrunde liegenden Rechtsform funktioniert ein Verband wie ein Verein mit fester Organisationsstruktur. Der Begriff „Verband“ taucht meist, aber nicht immer, im Namen auf und umreißt den Zweck der Vereinigung.[1]https://www.sage.com/de-de/blog/lexikon/berufsverband/
Als berufspolitische Institutionen sind Berufsverbände ein wichtiges Sprachrohr für die Belange und Forderungen der Arbeitnehmer*innen, denn sie stehen im permanenten Kontakt mit anderen Organisationen aus dem gleichen Berufsfeld und gehen in den Dialog mit politischen Vertretern auf nationaler und internationaler Ebene.
Ihre Sichtweise zu aktuellen pflegepolitischen Themen tun sie in Positionspapieren und Stellungsnahmen kund und sie fördern die fachliche und wissenschaftliche Weiterentwicklung des Pflegeberufs.
Jedoch kann man klar sagen, dass jeder Berufsverband nur so stark sein kann, wie er Mitglieder hat. Und an der Stelle zeigt sich, dass bei einem Organisationsgrad von ungefähr 10 Prozent der Großteil der ca. 1,69 Millionen Pflegekräfte in Deutschland die Wichtigkeit berufspolitischer Teilhabe noch nicht verstanden hat.
Für den Pflegeberuf gibt es tatsächlich gar nicht so wenige Berufsverbände.
Ehrlicherweise kann man aber klar sagen, dass auch ein Mitgliederanteil von 1,6 Prozent aller Pflegefachpersonen in Deutschland, bezogen auf die Mitglieder im DBfK mehr als unzureichend ist. Auch hier zeigt sich in meinen Augen ganz klar, dass dem Großteil der Pflegekräfte nach wie vor nicht klar ist, wie wichtig berufspolitische Beteiligung für die Entwicklung der Pflegeprofession ist.
Dann gibt es die Gewerkschaften.
Gewerkschaften sind freiwillige Organisationen von Arbeitern und Arbeiterinnen und Angestellten, deren satzungsmäßiger Zweck es ist die Arbeitsbedingungen und die Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern. Dabei ist die Gewerkschaft finanziell, personell und organisatorisch unabhängig von Dritten – also von Staat, Parteien, Kirchen – und vom Gegenüber in Betrieb und bei Tarifverhandlungen – also vom Arbeitgeber. Die Gewerkschaft darf nicht vom Gegner finanziert werden. Außerdem müssen Gewerkschaften „gegnerfrei“ sein. Das heißt: In Gewerkschaften dürfen Arbeitgeber kein Mitglied sein.
Die größte Gewerkschaft, die auch Pflegefachpersonen vertritt ist die ver.di. Bei Tarifverhandlungen, bspw. mit dem öffentlichen Dienst der Länder übernimmt die ver.di federführend die Interessen der Pflegenden. Problematisch ist allerdings, dass unter dem Dach der ver.di sich unzählige Berufsgruppen vertreten werden und die Pflege damit immer nur ein Teilbereich bleibt. Auch innerhalb der Gesundheitssparte der Gewerkschaft machen Pflegekräfte mit vielen anderen Arbeitnehmern aus der Branche nur einen Teil der Mitglieder aus.
Die einzige Spartengewerkschaft, die auch tatsächlich ausschließlich Pflegefachkräfte vertritt, ist der BochumerBund. 2020 gegründet ist die namentliche Analogie zum Marburger Bund, der Ärztegewerkschaft, dabei kein Zufall. Ähnlich wie der Marburger Bund in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen für die Ärzteschaft durchsetzen konnte, möchte der Bochumer Bund gleiches auch für Pflegekräfte erreichen. Wir haben hier auf dem Blog in der Vergangenheit bereits ein informatives Interview mit dem BochumerBund führen können, lest gern einmal rein.
Auch für Gewerkschaften gilt: Je mehr Mitglieder, desto durchsetzungsstärker ist die Gewerkschaft. Oder wie man berufspolitisch sagen würde: desto tariffähiger ist die Gewerkschaft. Während sich die ver.di immerhin mit einer Mitgliederpartizipation von 9-11% aller Pflegekräfte in Deutschland rühmen kann, steckt der BochumerBund da aufgrund der Kürze der Zeit noch in den Anfängen und hat derzeit zwischen 2000 und 2500 Mitgliedern.
An dritter Stelle ist die berufsständische Vertretung in Form der Pflegekammer zu nennen.
Eine Pflegekammer ist eine Berufskammer und eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die hoheitliche Aufgaben übernimmt. Sie ist ein Selbstverwaltungsorgan für bestimmte Berufsgruppen und wird auf Länderebene gegründet. Die Pflegekammer wird den etablierten Heilberufskammern (z.B. Ärztekammer, Zahnärztekammer, Apothekerkammer) gleichgestellt sein und sowohl im Gesamtinteresse der Berufsgruppe handeln als auch die beruflichen Interessen der einzelnen Pflegefachberufe berücksichtigen. Um die angestrebten Ziele zu erreichen, ist eine Pflichtmitgliedschaft aller Berufsangehörigen erforderlich.[2]https://dpv-online.de/pdf/flyer-pflegekammer.pdf
Die Kammer vertritt als Institution alle Pflegerinnen und Pfleger (wie beispielsweise die Ärztekammer) gegenüber dem Staat, der Gesellschaft und anderen Partnern im Gesundheitswesen im jeweiligen Bundesland.
- Sie setzt sich für eine sachgerechte professionelle pflegerische Versorgung der Bevölkerung ein.
- Die Kammer erlässt eine Berufsordnung für ihre Mitglieder und hat die Berufsaufsicht inne.
- Sie wirkt bei der Festlegung und Weiterentwicklung von fachlichen Standards und Qualitätskriterien mit.
- Die Kammer regelt die Fort- und Weiterbildung und erlässt eine Weiterbildungsordnung.
- In der Kammer werden alle Berufsangehörigen registriert.
Klingt erstmal wie die eierlegende Wollmilchsau nicht wahr? Ganz so ist das aber nicht. Denn die Pflegekammer vertritt keine fachlich motivierten verbandspolitischen Aufgaben und
kann damit Berufsverbände nicht ersetzen. Sie hat auch nicht die Aufgabe tarifpolitische Fragen zu klären und Tarifverhandlungen zu führen, denn diese Schwerpunkte obliegen ausschließlich einer Gewerkschaft. Die Pflegekammer ebenso wenig eigene Gesetze beschließen. Allerdings berät die Kammer den Gesetzgeber bei der Erarbeitung und Novellierung von Gesetzen und Verordnungen.[3]https://dpv-online.de/pdf/flyer-pflegekammer.pdf
Ein klarer Nachteil ist, dass Pflegekammern nicht in allen Bundesländern existieren. Bisher gibt es nur in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westphalen aktive Pflegekammern. In Baden-Württemberg befindet sich die Pflegekammer gerade im Aufbauprozess. In Niedersachsen und in Schleswig-Holstein gab es Pflegekammern, die aber aus verschiedenen Gründen wieder aufgelöst wurden. Zu erwähnen ist an der Stelle, dass im Jahr 2017 die Bundespflegekammer ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie vertritt auf Bundesebene die Landespflegekammern und ist somit zentraler Ansprechpartner von Regierung, Parlament und Selbstverwaltung. Ziel und Hauptaufgabe ist die Bildung einer gemeinsamen Interessenvertretung aller Pflegefachpersonen. Mitglieder der Bundespflegekammer sind derzeit die Landespflegekammern aus Rheinland-Pfalz und aus Nordrhein-Westphalen und der Deutsche Pflegerat in Berlin.[4]https://www.draco.de/pflegekammern/#:~:text=Die%20Bundespflegekammer%20vertritt%20auf%20Bundesebene,einer%20gemeinsamen%20Interessenvertretung%20aller%20Pflegefachpersonen.
Der Dreiklang aus Gewerkschaft, Berufsverband und Pflegekammer spielt eine entscheidende Rolle in der Pflegebranche und trägt dazu bei, die Interessen der Pflegefachkräfte wirksam zu vertreten sowie die Qualität der Pflegepraxis und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Jede dieser Organisationen erfüllt unterschiedliche, aber miteinander verbundene Funktionen. Die Gewerkschaften konzentrieren sich auf die arbeitsrechtlichen Aspekte, Berufsverbände auf fachliche Belange und die Pflegekammern auf die politische Vertretung und Regulierung der Pflegepraxis. Gemeinsam können sie eine starke Stimme für die Pflege bilden und positive Veränderungen in der Branche fördern.
Zu guter Letzt gibt es da noch den Deutschen Pflegerat e.V.
Der Deutsche Pflegerat wurde 1998 gegründet und ein Zusammenschluss der wichtigsten Verbände des deutschen Pflege- und Hebammenwesens. Er vertritt die Interessen der beruflich Pflegenden und Hebammen auf Bundesebene über deren Verbände – im gemeinsamen Dialog, mit der Politik, in den Medien und in der Öffentlichkeit, mit klaren Positionen und Expertengruppen. Er setzt sich für die Interessen der Berufsgruppen ein und fordert und fördert die berufliche Selbstverwaltung.
Auch mit einer Vertreterin des Deutschen Pflegerates durfte ich für den Blog bereits ein Interview führen. Lest gern mal hinein, wenn ihr mehr über die Arbeit und die Aufgaben des DPR wissen wollt.
Ziehen wir nun auf Basis all der Informationen ein finales Fazit.
Berufspolitik ermöglicht es uns Pflegefachkräften, auf bessere Arbeitsbedingungen, angemessenere Vergütung und berufliche Anerkennung zu drängen. Auf diesem Weg kann die Pflegeprofession politische Instrumente nutzen, um die Herausforderungen anzugehen, denen die Pflegebranche gegenübersteht, wie beispielsweise den Fachkräftemangel, die Belastung des Pflegepersonals und die kontinuierliche Professionalisierung der Pflege.
Ein starkes berufspolitisches Engagement fördert nicht nur die Pflegeberufe selbst, sondern kommt auch den Patienten und Patientinnen zugute, da durch politische Maßnahmen zu einer verbesserten Patientenversorgung, zu einer höheren Patientensicherheit und zu einer besseren Integration von Pflegeleistungen führen könnten.
Insgesamt benötigt die Pflegeprofession ein berufspolitisches Standing, um ihre Anliegen zu verteidigen, ihre Expertise einzubringen und die Entwicklung der Pflegepraxis in einer sich ständig verändernden Gesundheitslandschaft zu beeinflussen. Ein aktives Engagement in der Berufspolitik ist unerlässlich, um die Pflege als eigenständige und bedeutende Disziplin innerhalb des Gesundheitswesens zu stärken und ihre zukünftige Rolle zu formen.
Bist du berufspolitisch engagiert? Oder hast du noch mehr Fragen zum Thema? Dann stell sie gern in den Kommentaren.
Quellenangaben[+]
↑1 | https://www.sage.com/de-de/blog/lexikon/berufsverband/ |
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↑2, ↑3 | https://dpv-online.de/pdf/flyer-pflegekammer.pdf |
↑4 | https://www.draco.de/pflegekammern/#:~:text=Die%20Bundespflegekammer%20vertritt%20auf%20Bundesebene,einer%20gemeinsamen%20Interessenvertretung%20aller%20Pflegefachpersonen. |